Gleich zwei Familienspiele von Klaus-Jürgen Wrede, dem Autor des Spiel des Jahres 2001 (Carcassonne), erscheinen im Frühjahr 2022 bei uns: Fire & Stone ist bereits erhältlich, Raccoon Robbers bekommt ihr voraussichtlich ab März im Spieleladen eures Vertrauens. Während ihr in Fire & Stone als Frühmenschen euren Stamm von Afrika hinaus in die gesamte Welt führt indem ihr Feuer macht, Hütten baut, Tiere jagt und Pilze bzw. Früchte sammelt, ist es bei Raccoon Robbers euer Ziel, mit eurem Waschbär-Boss zuerst die Goldene Mülltonne zu erreichen. Dass dabei waghalsige Sprünge vonnöten sind und rivalisierende Waschbären aus dem Weg geschubst werden müssen, erscheint für ein solch verheißungsvolles Ziel ein geringer Preis!
Pünktlich zur Veröffentlichung der Neuheiten steht uns Klaus-Jürgen heute Rede und Antwort und beantwortet nicht nur Fragen zu seinen aktuellen Spielen, sondern auch zu seiner Arbeit als Spieleautor im Allgemeinen. Los geht´s:
Klaus-Jürgen, woher nimmst du die Ideen für neue Spiele? Woher kam die Inspiration für deine beiden Neuheiten, Raccoon Robbers und Fire & Stone?
„90% all meiner Ideen sind aus dem Thema heraus entwickelt. Nur bei einfachen Würfel- oder Kartenspielen steht bei mir erst mal die Mechanik im Vordergrund. Aber gerade bei Brettspielen und besonders Familienspielen finde ich das Thema wichtig. Dennoch muss die Mechanik natürlich auch einen eigenen Reiz bieten und für Spannung sorgen. Aber sie steht nicht an erster Stelle. Die Mechanik ergibt sich aus der Reduktion der Wirklichkeit fast von selbst … Der Mensch entdeckt die Welt – die Spielenden tun das gleiche im Kleinen auf dem Brett, etc. Ich persönlich mag Spiele oft nicht, die sich ‚mechanisch‘ anfühlen und bei denen dann irgendein Thema drüber gesetzt wird. Ich spiele lieber eine Geschichte durch oder identifiziere mich mit einem Stamm oder mit bestimmten Tieren und tauche auch gern in die Welt ab, die das Spiel anbietet.“

Sowohl bei deinem ersten Spiel, Carcassonne, als auch bei einem deiner neusten Spiele, Fire & Stone, spielt das Umdrehen von Plättchen eine große Rolle. Haben die beiden Spiele noch weitere Gemeinsamkeiten oder dürfen wir uns bei Fire & Stone auf ein vollkommen neues Spielprinzip freuen?
„Ich mag es sehr, wenn es in Spielen etwas zu entdecken gibt, wenn man sich langsam aufbauen oder sich von einer kleinen Zelle ausgehend ausbreiten kann. Das ist sicher in beiden Spielen ähnlich, genau wie die Spannung, wenn man ein neues Plättchen aufdeckt. Man braucht ja immer ein ganz bestimmtes, aber muss sich dann auch an das anpassen, was kommt. Wie im Leben halt… 😉 Dennoch sind die beiden Spiele total unterschiedlich und haben ein ganz anderes Spielgefühl. Bei Fire & Stone baut man seinen Stamm langsam mit Fähigkeiten auf und passt sich so der Umwelt immer besser an.“
In Fire & Stone führen die Spielenden ihren Stamm von Frühmenschen durch die Steinzeit. Bei Raccoon Robbers gehen dagegen Waschbären auf Nahrungssuche. Das sind sehr unterschiedliche Welten. Wie kamst du gerade auf diese Themen?
„Bei Fire & Stone wollte ich tatsächlich den Weg der Menschheit spielerisch nachvollziehen. Angefangen in Afrika – der Wiege der Menschheit – wollte ich den Menschen die Welt entdecken lassen: Nach Nahrung suchen, überall auf dem Weg Siedlungen bauen, Wälder, Höhlen und Tiere entdecken und sich schließlich entwickeln. Durch die zunächst nur durchschnittlichen Voraussetzungen, aber ausgestattet mit der Fähigkeit zum Lernen, hat die Menschheit grandiose Fähigkeiten entwickelt – das Feuer bezwungen, das Rad entdeckt, die Landwirtschaft und Töpferei entwickelt und vieles, vieles mehr. All das wollte ich mit möglichst einfachen Mitteln nachspielen, ohne dass man sofort zwei oder drei Stunden am Tisch sitzt.

Auch bei Raccoon Robbers stand das Thema im Vordergrund, auch wenn sich das Thema zur Veröffentlichung dann noch mal geändert hat. Ursprünglich hieß das Spiel Ice Diver und Pinguine kletterten auf Eisberge und rutschten diese dann von möglichst hohen Positionen runter. Dabei kam es natürlich zu Rangeleien und hier und da auch mal zu etwas schubsen… ? Da Pegasus das Spiel sehr gefiel, aber schon ein Pinguin-Spiel im Programm war, haben wir dann überlegt, wo es noch eine ähnliche Situation geben würde. Die Idee mit den Waschbären, die in New York die Häuser hochklettern auf der Suche nach Nahrung, hat mir dann sehr gefallen.“
Was magst du an deiner Arbeit am liebsten?
„Das Kreative. Ich bin schon ein sehr kreativer Mensch, in welcher Form auch immer – ob bei der Musik und Komposition oder beim Schreiben oder am liebsten beim Spiele-entwickeln. Gerade da kommt für mich vieles in idealer Weise zusammen: Das Kreative, die Logik und die Konstruktion einer Dramaturgie, das Soziale im Spiel, das Künstlerische in der Gestaltung.“
Inwiefern hat die Coronasituation deine Arbeit verändert?
„Schon sehr! Auch wenn man etwas mehr Zeit und Ruhe für sich hat und nicht mehr so viel unterwegs ist (weil Messen und Veranstaltungen nicht stattfinden), so fehlt doch ein ganzer Teil – gerade das immer wieder Testen bringt einen ja auch weiter und gibt neue Ideen und Impulse. Und das fehlt einfach.“
Viele deiner Spiele sind Familienspiele. Wurde bzw. wird in deiner Familie viel gespielt und wie bist du zum Spielen gekommen?
„Ich mag auch andere Spiele – auch gerne komplexe Spiele und Partyspiele und eigentlich alles an Spielen. Solange es gut ist – und da gibt es schon eine Menge. Als Kind habe ich schon ganz gern gespielt, aber da gab es noch nicht so tolle Spiele wie heute. Monopoly und Mensch ärgere dich nicht – das war aber nie so mein Fall. Erst mit Anfang 20 bemerkte ich dann, dass es mittlerweile doch einige viel interessantere Spiele gab. Und fing an, sie auszuprobieren. Und als ich dann zum ersten Mal die SPIEL in Essen besuchte war ich endgültig infiziert und den Brettspielen verfallen. Von da an haben sie mich nicht mehr losgelassen.“
Was macht für dich ein gutes Brettspiel aus und hast du ein Lieblingsspiel, das du immer wieder für Spielrunden aus dem Schrank holst?
„Ein gutes Brettspiel lässt dich abtauchen und fordert dich an jeder Stelle neu. Das kann ganz unterschiedlich sein: Es kann dein Gehirn herausfordern oder dir einfach Spaß bereiten, deine Mitspielenden besser kennenlernen lassen oder dich immer wieder in neue Entscheidungen drängen, dich Rätsel lösen lassen oder schnelle Reaktionen fordern … Was ich bei Spielen immer mag und schätze ist, wenn man so stark in das Spielgeschehen abtauchen kann, dass man gewissermaßen alles um sich herum vergisst. Und wenn ich am liebsten alles gleichzeitig machen möchte – aber das geht natürlich nie ?
Klar habe ich viele, viele Spiele, die ich sehr mag und immer wieder gern spiele. Meist bin ich natürlich sehr neugierig auf die neuen Spiele und da jedes Jahr wieder so viele veröffentlicht werden, kommen alte Spiele dann immer etwas kurz. Aber es sind ganz unterschiedliche Spiele, die ich gerne spiele: Codenames, Maracaibo, Praga, Linq, Brass, Hacienda, Sankt Petersburg, Era of Tribes, London, Times up, Terraforming Mars, Rokoko, um nur ein paar wenige zu nennen …“
Bei Raccoon Robbers gibt es viel Interaktion, da sich die Spielenden aka Waschbären gegenseitig von den Häusern schubsen können. War es dir bei der Entwicklung wichtig, Interaktionen zwischen den Spielenden zu ermöglichen?
„Ja klar! Das ist ganz wichtig für das Spiel – es lebt davon!! Man versucht immer, die anderen möglichst nach unten zu schubsen, um besser oder höher dazustehen. So gibt es ein ziemliches Gerangel und Hin und Her auf den Fensterbänken.
Wer sollte sich Raccoon Robbers in jedem Fall genauer anschauen?
„Wer solche Spiele mit einfachen Regeln, aber etwas Schubserei und Interaktion mag. Es ist vor allem ein Fun-Spiel und soll Spaß machen!! Emotionen sind erwünscht! ?“

Kehren wir noch einmal zurück in die Steinzeit: Was ist deiner Ansicht nach das Besondere an Fire & Stone?
„Das Spiel vollzieht den Weg des Menschen über die Erde nach. Man beginnt an einem kleinen Ort in Afrika und ohne Fähigkeiten, doch je mehr man entdeckt, desto stärker wird man und erhält neue Fähigkeiten. Das, was man unterwegs erkundet und entdeckt, beeinflusst wieder jede weitere Entscheidung. Das Spiel hat ganz verschiedene Elemente, die aber alle intuitiv und thematisch gut zugänglich sind und sich immer in einem Spannungsfeld zwischen Planung und Glück befinden. Daher gibt es eine stetige Spannung im Spiel. Mit Fire & Stone wollte ich ein Spiel machen, das sich gleichermaßen an Familien- bzw. Gelegenheitsspielende richtet, aber auch Kennern zahlreiche interessante Möglichkeiten und viel Varianz bietet.“
Es gibt verschiedene Faktoren, die die Spielzüge in Fire & Stone beeinflussen, etwa die Höhlenkarten und die zufällige Verteilung der aufzudeckenden Plättchen. Dadurch ist jede Partie anders. Kannst du uns mehr über diese Zufallselemente erzählen?
„Da die verdeckten Plättchen in drei großen Bereichen liegen, sind sie gewissermaßen vorstrukturiert. Es ist nicht kompletter Zufall, was man findet. Man kann sich so immer entscheiden, noch in Europa zu bleiben, weil es dann noch etwas Schönes zu finden gibt – oder auch nach Eurasien vorzustoßen, um vielleicht der*die Erste an den begehrten Siedlungsplätzen zu sein. So gibt es in jedem Zug kleine Entscheidungen, die man treffen muss. Dennoch bleibt immer die Spannung, was sich tatsächlich in dem neu betretenen Gebiet befindet. Bleibe ich doch lieber dort, wo es sichere Nahrung gibt? Oder baue ich eine Hütte, bevor andere es tun und es teurer wird?
Die Höhlen sind eine Art Erweiterung, die ins Spiel integriert ist. Die Höhle kann ganz unterschiedliche Funktionen haben. Das bestimmt eine Szenario-Karte, die man zu Beginn auswählt – oder auch zieht. Es gibt 24 verschiedene davon. So ergibt sich ein ganz anderes Ziel und ein anderer Schwerpunkt in jeder Partie und lässt es sicher nie langweilig werden.“

Abschließend noch eine letzte Frage: Was würdest du neuen Spieleautor*innen mit auf den Weg
geben?
„Verfolgt das, was eure Vision vom Spiel ist! Achtet dabei erst mal gar nicht auf das, was vielleicht grad hip ist oder out. Macht einfach ein gutes Spiel – bis es euch rundum gefällt! Lasst euch dabei immer wieder infrage stellen und nehmt jede Kritik ernst! Aber bleibt euch trotzdem immer treu!“
Klaus-Jürgen, vielen herzlichen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, um uns Einblicke in deine Arbeit und natürlich deine beiden neuen Spiele zu geben!
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