Das Kennerspiel The Vale of Eternity von Eric Hong dreht sich ganz um das Zähmen von verschiedenen Kreaturen in einem nicht näher definierten Tal – dort finden sich Monster, Geister und Drachen, um die wir wetteifern. Dabei wurden für die Karten vielfach Vorlagen aus verschiedenen Mythologien genommen. Solche Verweise sind für uns vom Projekt Boardgame Historian natürlich besonders interessant. Kein Wunder also, dass wir uns das Spiel für den Pegasus Spiele Blog gerne einmal genauer anschauen. Dabei wollen wir besonders auf die Anleihen an die nordische und die griechische Mythologie sowie das Christentum eingehen.

Draften um begehrte Karten – Die Grundprinzipien des Spiels

Unser Ziel ist es, die Kreaturen zu zähmen und zu beschwören, damit wir am Ende die meisten Punkte unter den Mitspielenden erlangen. Dabei läuft das Spiel wie üblich in aufeinanderfolgenden Runden und Zügen ab. Am Beginn jeder Runde werden Karten mit den Kreaturen –doppelt so viele wie die Anzahl an Personen – in der Mitte aufgedeckt. Sortiert werden die Karten nach den Elementen, denen sie zugeordnet sind (Feuer, Wasser, Luft, Erde und natürlich Drachen, die so besonders sind, dass sie ihre eigene Kategorie bekommen). Reihum sichern wir uns nun eine Karte, indem wir einen unserer Auswahlmarker auf eine Karte legen; in einer zweiten Runde, die jetzt gegen den Uhrzeigersinn läuft, suchen wir uns eine zweite Karte aus, die wir nach dem gleichen Prinzip für uns in Anspruch nehmen.

Kreaturenkarten des Brettspiels The Vale of Eternity
The Vale of Eternity Spielsituation © Boardgame Historian

Danach beginnt die Aktionsphase. Bei unseren gerade ausgewählten Karten müssen wir uns nun entscheiden, ob wir sie für Runensteine, die dem Element entsprechen, verkaufen möchten oder sie zähmen und damit auf die Hand nehmen. Gegen die Abgabe von Runen können wir Kreaturen aus unserer Hand beschwören – also in unseren Spielbereich auslegen. Runen gibt es in den Werten 1,3 und 6. Das Besondere: Wir dürfen die Runen nicht wechseln, das heißt eine 6er-Rune bleibt immer eine 6er-Rune. Wenn wir nun eine Kreatur, die drei Runen kostet, mit einer 6er-Rune bezahlen, bekommen wir keine Wechselrunen – Pech gehabt! Außerdem darf man maximal vier Runen gleichzeitig besitzen. Man muss also gut haushalten! Zudem ist die Zahl der beschworenen Kreaturen in unserer Auslage begrenzt, diese entsprechend der aktuellen Rundenzahl. Doch damit wir nicht starke Kreaturen zurückhalten müssen, dürfen wir als Aktion auch Kreaturen wieder freilassen. Dafür müssen wir jedoch Runen entsprechend der aktuellen Rundenzahl abgeben.

Nach den Aktionen kommt die sogenannte Aktivierungsphase, in der die Sanduhr-Effekte der eigenen Kreaturen aktiviert werden. Damit können wir ebenfalls zahlreiche Punkte sammeln, mit denen wir dem Sieg näherkommen. Karten mit Blitzsymbol werden abgehandelt, sobald diese Kreatur beschworen wird und die Karten mit Unendlichkeitssymbol werden immer aktiviert, sobald der genannte Umstand eintritt. Das Spiel endet nach zehn Runden oder, wenn jemand 60 oder mehr Punkte gesammelt hat. The Vale of Eternity verbindet also verschiedene Mechaniken: Wir draften um die Karten, die ausliegen, und müssen unsere Auslage mit den beschworenen Kreaturen möglichst punktebringend füllen. Wie bei Engine Buildern üblich, geht es auch darum, mit den Karten wertvolle Combos für den weiteren Spielverlauf aufzubauen. Dazu muss man natürlich auch die Mitspielenden im Auge behalten, um ihnen gute Karten wegschnappen zu können. Dadurch, dass wir außerdem nur vier Runensteine gleichzeitig besitzen dürfen und diese auch nicht wechseln können, kommt Ressourcenmanagement mit ins Spielgeschehen.

Runen und nordische Gottheiten

Bei dem Begriff „Runen“, die im Spiel als Währung genutzt werden, denkt man natürlich direkt an German und nordische Geschichte! Auch wenn wir beispielsweise aus dem digitalen Spiel „Elden Ring“ Runen als Währung bereits kennen, so bezeichnet der Begriff doch erst einmal Schriftzeichen. Wie alt genau der Gebrauch von Runen zum Schreiben ist, ist nicht geklärt. Fest steht aber, dass Schriften für manche Kulturen so fremd waren, dass diese als magisch und göttlich angesehen wurden. Daher verwundert es nicht, dass Runen eine magische Komponente zugeordnet wird. Auch wenn die Runen im Spiel kaum etwas mit den Schriftzeichen zu tun haben, so passt dessen magische und mythische Aura doch gut in das Setting.

Doch es gibt noch weitere Anleihen an die nordische Kultur und Mythologie im Spiel, so finden sich unter den Luft-Kreaturen die Gottheiten Freyja und Odin. Beide sind dabei relativ teuer, so kostet Freyja 7 und Odin 6 Runen. Dem Element Luft zugeordnet sind sie möglicherweise wegen ihrer göttlichen Aura. Freya wird sogar mit Flügeln dargestellt, sodass sie als fliegende Gestalt gut zur Luft passt. Odin hingegen wird oft mit seinen Raben Hugin und Munin dargestellt, die hier im Spiel jedoch fehlen, und er konnte die Gestalt eines Adlers annehmen, sodass darüber auch ein Bezug zur Luft hergestellt werden kann.

Holzschnitt-Darstellung von Odin von Johannes Gehrts aus Walhall. Germanische Götter- und Heldensagen. Für Alt und Jung am deutschen Herd erzählt 1883 und in The Vale of Eternity
Darstellung von Odin von Johannes Gehrts 1883 und in The Vale of Eternity1

Odin ist der Hauptgott der nordischen Mythologie, in der eddischen Dichtung wird er als Göttervater, Toten- und Kriegsgott dargestellt. Zudem ist er der Gott der Dichtung und Runen, der Magie und der Ekstase. Im Spiel ist er sitzend dargestellt in einem Mantel, der auf seiner rechten Seite braun ist und auf seiner linken Seite blau-gold gestreift. In der rechten Hand hält er einen goldenen Kelch, der mit Rubinen verziert ist. Sein Gesicht ist bärtig und sein linkes Auge ist durch eine Binde verdeckt. Der Bart kennzeichnet Odin als alten Mann, so wird er auch in historischer Kunst oft dargestellt. Die Augenbinde verweist darauf, dass er ein Auge im Gegenzug zu einem Schluck aus Mimirs Brunnen abgegeben hat, damit er seherische Kräfte bekam. Der Mantel könnte auf seinen Wunschmantel verweisen, mit dem er an jeden Ort reisen und sich unsichtbar machen konnte. Auch die sitzende Pose ist typisch, auch wenn auf der Karte kein Thron dargestellt ist. Verschiedene Attribute kennzeichnen ihn also als den nordischen Gott, sodass man die Darstellung möglicherweise auch ohne die Benennung erkennen könnte.

Freya ist die nordische Göttin der Fruchtbarkeit und des Frühlings, des Glücks und der Liebe. Auf der Karte ist sie allerdings eher kriegerisch in einem rot-goldenen Gewand dargestellt. Das geht darauf zurück, dass sie ein Falkengewand besitzt, dass sie befähigt, zu fliegen. Als Fähigkeit bringt sie einen Siegespunkt pro Kreatur, die ebenfalls einen dauerhaften Effekt besitzt. Dazu gehört auch die Karte der Walküre, die von Freyja angeführt werden. Die Walküren wählen auf dem Schlachtfeld Verstorbene aus, die von ihnen nach Walhall geführt werden. Passend dazu ist die Walküre im Spiel ebenfalls dem Element Luft zugeordnet und trägt eine Rüstung.

Zwischen Hestia, Boreas und Poseidon – die griechische Mythologie

Natürlich darf auch die griechische Mythologie in The Vale of Eternity nicht fehlen, Kreaturen dieser sind bei allen Elementen vertreten. Wir haben einige besonders interessante Beispiele herausgesucht: Dem Feuer zugeordnet ist Hestia, eine der zwölf olympischen Gottheiten. Sie ist die Göttin des Herd- und Opferfeuers, sodass das Element genau zu ihr passt. Dargestellt ist sie stets komplett bekleidet, da sie rein und keusch ist – das findet sich auch im Spiel wieder. Auf der Karte ist sie komplett schwarz gekleidet und ein Totenkopf liegt an ihrer Seite, was möglicherweise auf den Kontext zu Opferhandlungen hinweist. Hestia wurde im Privaten an jedem häuslichen Herd verehrt und sie galt aus Göttin der Häuslichkeit, sodass sie es im Spiel erlaubt, zwei Runen mehr zu haben und damit zu haushalten.

Dem Element Luft zugeordnet ist unter anderem Boreas, die Personifikation des winterlichen Nordwinds. Anders als in antiken Darstellungen des Windes als bärtiger Mann mit Flügeln oder in Pferdegestalt, ist er im Spiel als Windgestalt mit einer japanischen Maske und einem Blitz in der Hand dargestellt. Seine Fähigkeit bringt sofort einen Siegespunkt für jede Windkreatur in der Auslage, danach wird er wieder zurückgerufen. Ebenfalls der Luft zugeordnet ist der Pegasus, ein geflügeltes Pferd in der griechischen Mythologie. Im Spiel senkt es die Beschwörungskosten anderer Kreaturen um 1 – es ist also unterstützend tätig wie auch als Reittier.

Poseidon, der Gott des Meeres und ebenfalls einer der zwölf olympischen Gottheiten, ist selbstverständlich dem Element Wasser zugeordnet. Erkennbar ist er im Spiel an seinem Dreizack, mit dem er auch in der Antike vielfach dargestellt wird. Allerdings wird er in der Antike immer als Mensch dargestellt, oft umgeben von Delfinen oder Tritonen und Nereiden; auf der Karte ist er allerdings als mythisches Meereswesen abgebildet. Mit 7 Runen ist er relativ teuer, bringt aber auch sofort 3 Siegespunkte pro Wasserkreatur, die in der Auslage ist. Damit ist seine enge Verbindung zu weiteren Meereswesen betont, wie etwa dem Triton, der ebenfalls im Spiel vorkommt. Triton ist der Sohn des Poseidons, er ist ein Meeresgott und Mischwesen mit einem Delfinschwanz.

Darstellung von Poseidon (Rom, Lateran) und in The Vale of Eternity
Darstellung von Poseidon (Rom, Lateran) und in The Vale of Eternity

Spannend ist zudem noch die Charybdis im Spiel: Diese ist eigentlich ein gestaltloses Ungeheuer, auf der Karte wird sie jedoch als junge Frau mit dem Unterkörper eines Oktopusses dargestellt. Zusammen mit der Skylla lebt Charybdis im Meer zwischen Felsen und frisst dort Seefahrer und alles andere, was in ihren Raum gelangt. Skylla wird als junge Frau mit sechs Hunden als Unterkörper dargestellt, sodass die Charybdis aus dem Spiel vielleicht eine Mischung der beiden darstellt. Die Gefräßigkeit der beiden Monster wird durch die Fähigkeit rezipiert, denn jede Runde kann mit der Karte einer 3er-Rune abgelegt werden, um 5 Siegespunkte zu erhalten.

Zu den Erdkreaturen zählt die Medusa, ein Monster, aus dessen Kopf Schlagen wachsen und dessen Anblick alle zu Stein erstarren lässt. Im Spiel kann durch die Medusa jede Runde eine Kreatur abgelegt werden, wodurch man eine 6er-Rune erhält, also ist ihr Mythos durch die Fähigkeit rezipiert. Medusa wurde übrigens von Perseus enthauptet, woraufhin das Pferd Pegasus aus ihrem Kopf entsprang.

Behemoth, Leviathan und Asmodeus – das Christentum als Mythenquelle

Darstellung von Leviathan von Gustave Doré 1865 und in The Vale of Eternity
Darstellung von Leviathan von Gustave Doré 1865 und in The Vale of Eternity

In The Vale of Eternity werden allerdings nicht nur die Mythen von Religionen der Vergangenheit thematisiert, auch die narrativen Bildwelten aktueller Weltreligionen werden als Fundgrube genutzt. So finden sich mit Behemoth und Leviathan gleich zwei Ungeheuer aus dem „Buch der Bücher“.

Der Leviathan begegnet uns hierbei an mehreren Stellen in der Bibel. Die wohl eindrücklichste Beschreibung der Kreatur findet sich im Buch Hiob:

„Ich will nicht schweigen von seinen Gliedern, wie groß, wie mächtig und wohlgeschaffen er ist. Um seine Zähen herum herrscht Schrecken. Sein Rücken ist eine Reihe von Schilden, wie mit festem Siegel verschlossen. Aus seinem Rachen fahren Fackeln und, feurige Funken schießen heraus. Auf seinem Nacken nächtigt die Stärke, und vor ihm tanzt die Angst.“ (Hiob 41). Der Leviathan ist aber nicht nur furchtbar anzusehen, er ist auch nahezu unbesiegbar im Kampf: „Wenn er sich erhebt, so entsetzen sich die Starken, und wenn er hervorbricht, weichen sie zurück. Trifft man ihn mit dem Schwert, so richtet es nichts aus, auch nicht Spieß, Geschoss und Speer.“ (Hiob 41).

Auch das Lebensraum wird näher definiert und auf den Boden des Meeres verortet:

„Er macht, dass die Tiefe brodelt wie ein Topf, und rührt das Meer um.“ (Hiob 41).

Erst am Ende aller Tage kann der Leviathan von Gott selbst bezwungen werden:

„Zu der Zeit wird der HERR heimsuchen mit seinem großen und straken Schwert den Leviathan, die flüchtige Schlang, und wird den Drachen im Meer töten.“ (Jes 27,1).

Zusammengefasst handelt es sich bei dem Leviathan um einen übermächtigen Chaosdrachen aus den Tiefen des Meeres und er faszinierte als solcher die Menschen durch die Epochen.

Dementsprechend häufig wurde die Kreatur auch in der Popkultur rezipiert, so z. B. auch in Magic: The Gathering oder im Spiel Roll Player. Die Darstellung in The Vale of Eternity wirkt im Vergleich mit der Beschreibung in der Bibel fast harmlos, die Zuordnung zum Element Wasser passt definitiv. Die Fähigkeit des Leviathans, eine Drachen-Kreatur aus der Auslage eines Gegners zu entfernen, scheint aufgrund seiner Macht mehr als gerechtfertigt.

Behemoth ist als Gegenstück des Leviathans an Land zu verstehen. Auch er wird in Hiob beschrieben und begegnet uns als gewaltiger Ochse:

„Seine Knochen sind wie eherne Röhren, seine Gebeine wie eiserne Stäbe. Er ist das erste der Werke Gottes; der ihn gemacht hat, gab ihm sein Schwert. Denn die Berge bringen ihm Tribut, und alle wilden Tiere spielen dort.“ (Hiob 40).

Die Zuordnung von Behemoth zum Element Erde passt also. Allerdings wird er in The Vale of Eternity als löwenähnliches Wesen dargestellt.

Darstellung von Asmodäus aus dem Dictionnaire Infernal 1863 und in The Vale of Eternity
Darstellung von Asmodäus 1863 und in The Vale of Eternity2

Bei Asmodeus handelt es sich nicht, wie manche denken mögen, um einen französischen Großverlag, sondern um einen Dämon, der uns ebenfalls in der Bibel begegnet. So heißt es im Buch Tobit: „Sie (Sara) war sieben Männern zur Frau gegeben worden, aber der böse Dämon Aschmodai hatte sie getötet, bevor sie mit ihr zusammengekommen waren, wie es den Ehefrauen vorgeschrieben ist.“ Asmodeus erscheint hier also als eifersüchtiges Ungetüm, das Sara um ihre Ehemänner bringt. Erst durch das Eingreifen des Erzengels Rafael kann Tobias Asmodeus durch das Verbrennen von Fischinnereien vertreiben und Sara letztendlich zur Frau nehmen.

Im Zuge der neuzeitlichen Rezeption wurde Asmodeus zum „Dämon der Hurerei und der Fürst jeder Unfläterei“ (Hexenhammer) und letztendlich mit dem Teufel höchstselbst verglichen. In The Vale of Eternity wird dieser infernale Hintergrund durch die Zuordnung zum Element Feuer ersichtlich. Teil dieses Elements sind auch der Sukkubus und der Inkubus.

Beide können mit Asmodeus‘ Fähigkeit zurückgerufen werden, was seine Macht über die Kreaturen der Finsternis unterstreicht.

Im Zeichenstil vereint

Uns als Geisteswissenschaftler:innen fasziniert nun besonders, dass nicht nur all diese unterschiedlichen Mythen als Vorlagen genommen wurden, sondern, dass diese durch den spezifischen Zeichenstil von Erica Tormen, Gautier Maia, Jiahui Gao und Stefano Martinuz neu interpretiert wurden. Sie bedienen sich dabei einer bunten, verspielten Darstellungsweise, die in vielen Fällen an Pokémons erinnert und insgesamt sehr asiatisch angehaucht sind. So verwundert es auch nicht, dass auch manche Kreaturen des Spiels asiatischen Mythologien entnommen sind, z.B. Yuki Onna oder Hae Tae.

Uns gefallen diese Neuinterpretationen gut, denn sie zeigen, dass die Vergangenheit auch in der Gegenwart immer aufs Neue aktualisiert wird und über das Spiel ein Zugang zu diesen geschaffen werden kann. In The Vale of Eternity macht das Spielen mit diesen Monstern zusätzlich auch noch einen Heidenspaß.

  1. Holzschnitt-Darstellung von Odin von Johannes Gehrts aus Walhall. Germanische Götter- und Heldensagen. Für Alt und Jung am deutschen Herd erzählt 1883 und in The Vale of Eternity. ↩︎
  2. Darstellung von Asmodäus aus dem Dictionnaire Infernal 1863 und in The Vale of Eternity. ↩︎

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