Idyllische Landschaften, plätschernde Flüsse, liebenswerte Dorfbewohner*innen? Fehlanzeige! Mit Boss Fighters QR geht das Spiel des Jahres Autorenduo Lukas Zach & Michael Palm ganz neue Wege. Kooperativ bleibt das Spielprinzip zwar, aber anders als beim Spiel des Jahres 2023, Dorfromantik – Das Brettspiel, arbeiten wir dieses Mal nicht mit bzw. für die Protagonist*innen des Brettspiels, sondern – freundlich ausgedrückt – gegen sie. Konkreter gesagt ist nichts anderes unser Ziel als die Taktiken der fiesen Bosse zu durchschauen, unsere Kräfte zu bündeln und unsere individuellen Fähigkeiten gekonnt einzusetzen, um sie gemeinsam zu besiegen.
Im Interview* verraten uns die beiden Autoren mehr über die Spielentwicklung, die schwierige Balance zwischen analogem Spielerlebnis und digitaler App-Steuerung und die Frage, wie ein Spiel sowohl für Familien als auch für Vielspielende gleichermaßend spannend und interessant sein kann.
Michael & Lukas, zum Start gleich eine etwas provokative Frage: Nachdem ihr viele Jahre lang zum Teil sehr komplexe Kartenspiele entwickelt habt – wolltet ihr es euch jetzt mal schön gemütlich machen und den ganzen Verwaltungskram von einer Software erledigen lassen?
Michael: „Ja das stimmt schon, wir kommen aus der komplexen Richtung, wenn ich da an die Sammelkartenspiele oder auch Die Zwerge denke. Aber wir haben uns zuletzt auch ohne Elektronik in den familientauglichen Bereich begeben. Außerdem liegt das nahe, wenn du eine Familie mit Kindern hast. Und vielleicht liegt’s auch an unserem Alter. 😉“
Lukas: „Es hat aber auch etwas mit dem Spielemarkt zu tun. Es gibt immer weniger einfache Spiele, die zugleich innovativ sind. Die Kombination, sehr gutes Spiel mit nur wenigen Regeln ist eine echte Herausforderung. Wenn dann eine App den Spielenden Verwaltungsarbeit abnehmen kann – umso besser.“
Dann erklärt doch mal, was die App in Boss Fighters QR alles macht!
Michael: „Mit der App wird zuerst einmal der Rundenablauf gesteuert. Sie sagt einem, in welcher Phase man ist. Aber sie bringt auch Überraschungen und Wendungen. Das ist ja ein typisches Merkmal von Online-Bosskämpfen, dass die Spielenden beim Angriff ganz neue Seiten des Bosses entdecken. Auch unsere Bosse sind alle einzigartig und reagieren dynamisch auf die Spielzüge. Wenn ich das für ein Kartenspiel konzipieren müsste, wäre es eine Riesen-Anleitung.“
Lukas: „Mit der App gelingt es, dieses PC-Erlebnis ‚Ich/Wir gegen einen Boss‘ auf den Tisch zu transportieren. Da hantierst du ja überhaupt nicht mit Tabellen und Werten, wie das sonst bei komplexen Boss Battlern der Fall ist. Bei Boss Fighters QR haben wir all das, was den Spielspaß hemmen kann, in die App gepackt.“

Kann die App noch mehr?
Lukas: „Klar! Auch wenn die Bosse nicht 3D sind, reagieren sie mit visuellen Effekten und machen Geräusche. Sie knurren zum Beispiel bei Treffern. Das Gefühl ist: Du spielst eine Karte und kriegst direkt eine Reaktion.“
Michael: „Die App hilft dir, den Überblick über deinen Charakter zu behalten. Du kombinierst die Eigenschaften deines Helden oder deiner Heldin quasi mit einem Beruf.“
Lukas: „Außerdem hilft sie bei dem, was ich ‚Enträtseln der Bosse‘ nennen würde. Das sorgt im ganzen Spiel ständige für Interaktion.“
Was bedeutet all das fürs Programmieren einer App?
Lukas: „Zuerst einmal, da Boss Fighters QR ein Spiel für Familien und Vielspieler*innen gleichermaßen ist: Ein sehr sauberes Handling. Konkret: Lassen sich die Karten gut scannen? Wird das zu fummelig, verlieren Gelegenheitsspieler*innen schnell die Lust. Aber entscheidend ist: Was soll die App übernehmen – und was nicht!“
Michael: „Genau. Die App hätte zum Beispiel auch Lebenspunkte und Giftmarker abrechnen können. Aber wir haben gemerkt, das Tischgefühl, das Ausspielen von Karten oder das Ablegen von Markern, ist sehr wichtig.“
Lukas: „Es ist insgesamt ein sehr schmaler Grat. Wenn die App zu viel gemacht hat, hieß es schnell: Da kann ich ja gleich am PC spielen.“
Erinnert ihr euch noch daran, wie ihr auf die Idee gekommen seid, ein Boss Battle Spiel zu machen? Gab es ein auslösendes Erlebnis oder stand diese Mechanik einfach auf eurer „Wunschliste“?
Michael: „Wenn wir nicht gemeinsam an Spielideen tüfteln, arbeitet Lukas in der PC-Spiel-Branche. Und so kam er bei einem Treffen mit dieser Idee auf mich zu. Seine Erfahrung aus diesem Bereich hat uns den Schritt zu einem hybriden Spiel wesentlich einfacher gemacht.“
Lukas: „Und die Zeit war dafür einfach auch reif. Man kann heute davon ausgehen, dass jede und jeder ein Handy besitzt, auf dem eine App wie die für Boss Fighters QR problemlos läuft. Deshalb kam mir die Idee, moderne Technologie und analoges Brettspiel in einem Bosskampf zu vereinen. Dass es ein Projekt über so viele Jahre werden würde, habe ich dabei noch nicht gedacht.“
An der Stelle sollten wir wohl erwähnen, dass Lukas drei Tage in der Woche als Videospiele-Entwickler arbeitet. In jener Welt ist das BossFighting ja groß geworden. Hat es das leichter gemacht, Boss Fighters QR zu designen?
Michael: „Ja, durch Lukas hatten wir einen hervorragenden Einstieg. Er hat einfach gleich die richtigen Leute ansprechen können, etwa den Programmierer Florian Feith.“
Lukas: „Florian ist nicht nur Software-Programmierer, sondern auch Spieler und noch dazu Familienvater. Da konnte er zu Hause gleich zielgruppengerecht testen. Er war sofort drin und hat nicht nur unsere Wünsche umgesetzt, sondern originelle Vorschläge gemacht.“
Zum Beispiel?
Michael: „Die Bosse haben ja Rüstungen, um sich gegen die Attacken der Spielenden zu schützen. Florian hat an einer Stelle vorgeschlagen, die üblichen Schilde zu ersetzen und stattdessen kleine Handlanger einzusetzen. Das bringt noch mal ein ganz neues Element rein und gibt dem Spielerlebnis eine neue Richtung. Okay, das ist zwar jetzt ein bisschen gespoilert, aber wir verraten ja nicht, wo die Minions auftauchen. Aber in Boss Fighters QR steckt noch so viel mehr, da gibt es auf jeden Fall noch genug zu entdecken!“
Lukas: „Aber es haben alle, wirklich alle sehr leidenschaftlich mitgewirkt, auch die Illustratoren. Vor allem aber Sebastian aus der Redaktion von Pegasus Spiele. Dank seines mathematischen Hintergrundes hat er sogar Bosse programmiert.“

Das klingt nach viel Arbeit. Wie lange habt ihr denn an dem Projekt gearbeitet?
Lukas: „Insgesamt sechs Jahre. Wir haben mit Boss Fighters QR also schon vor Dorfromantik angefangen. Und das ging auch nur in so einem kleinen, konzentrierten Team. Bei einem Videospiel hätten wir da gewiss ein Dutzend Leute beschäftigt.“
Hand aufs Herz: Während einer so langen Reise, gab es da mal Momente, in denen ihr daran gezweifelt habt, dass das Spiel irgendwann erscheinen wird?
Lukas: „Gezweifelt haben wir eigentlich nie. Wir haben uns eher Schritt für Schritt auf die nächsten Aufgaben konzentriert.“
Michael: „Und auch die Offenheit und Bereitschaft im Hause Pegasus Spiele hat uns gezeigt, dass es für ein Spiel dieser Art Interesse auf dem Markt gibt.“
Wusstet ihr von Anfang an, dass das Spiel App-basiert werden würde?
Michael: „Dass Boss Fighters QR eine App haben soll, haben wir von Anfang an gewusst. Einfache Bosse kann man noch durch Karten-Stapel und Würfelwürfe simulieren, doch für spätere werden dann so komplex, dass es für eine Spielleiterin oder einen Spielleiter auch nicht mehr eine entspannte Partie am Tisch wäre.“
Lukas: „Im Laufe der Entwicklung kamen uns natürlich auch einige Ideen, die zu viel Aufwand bei der Programmierung bedeutet hätten. Da hat uns Florian dann richtigerweise wieder auf den Teppich der Tatsachen gebracht. Doch wer weiß, vielleicht setzen wir davon noch welche in der Zukunft um?“
Kurze Zwischenfrage: Wie seid ihr eigentlich auf die Kombi Boss Fight aber kooperativ gekommen?
Michael: „Wir sind beide leidenschaftliche Rollenspieler. Da ist der gemeinsame Kampf der Spielgruppe gegen Gegner*innen ein sehr gängiges Spieldesign. Und unser Ansatz war: ein Spiel auf dem Brett wird noch besser, wenn ein Anteil Rollenspiel hinzukommt.“
Lukas: „Außerdem spielen wir sehr gerne kooperative Spiele.“
Ihr arbeitet ja seit vielen Jahren im Duo. Wie teilt ihr euch die Arbeit auf?
Lukas: „Früher haben wir versucht, an allen Projekten gemeinsam zu arbeiten. Heute teilen wir uns dabei etwas mehr auf. Ich bin da eher der Boss Fighter und Michael der Dorfromantiker. 😉“
Michael: „Und zum Glück bleibt zwischen den beiden Großprojekten auch immer noch etwas Zeit, um an neuen Ideen zu tüfteln.“
Bei der Konzeption eines Spiels stellt sich ja gleich zu Beginn die Frage: Welche Zielgruppe? Leicht oder schwer, Familie oder Experte? Wie war das hier?
Lukas: „Als wir angefangen haben, haben wir Boss Fighters QR als Kennerspiel entwickelt. Durch die App kann man aber die Schwierigkeit beliebig anpassen, von Familien bis Experte.“
Michael: „Wer will, kann sich also richtig viel Komplexität abholen!“
Lukas: „Ich muss sogar sagen: Auf dem höchsten Level bin ich raus, da kommen sehr komplexe Mechaniken zum Einsatz! Um da zu bestehen, müssen sich die Spielenden extrem gut absprechen. Grad 1 dagegen ist ein Einstiegslevel, das sehr viele Fehler verzeiht.“

Nennt doch mal Beispiele für unterschiedliche Bosse.
Lukas: „Ein echt harter Brocken ist der ‚Ätherdrache‘. Der kann fliegen, und verhält sich dann, der Spoiler sei erlaubt, anders als am Boden. Um bei späteren Bossen mithalten zu können, muss man seinen Helden aufleveln – Viel- und Rollenspieler*innen ahnen: Jetzt wird’s komplex!“
Michael: „Ganz anders dagegen unser ‚fieser Prinz‘. Da drehen wir sozusagen die Märchenerzählung um. Der verwandelte sich, auch so viel verraten wir, in eine riesige ‚Monsterkröte‘. 😉“
Wenn man euch so hört, bekommt man das Gefühl, ihr mögt eure Bosse …
Michael: „Das sind schon recht familiäre Monster. Auch die Illustrationen sind ja alles andere als bitterböse Figuren. Das war mir aus meiner Sicht als Spielehändler wichtig, dass Boss-Aussehen und die Inhalte passen.“
Lukas: „Deshalb haben wir auch ganz bewusst nicht die App in den Vordergrund gestellt. Auf der Box sollte nicht ‚KI-gesteuert‘ als Verkaufsargument stehen – ein Spiel ist gut, wenn es gut ist.“
Michael: „Und so ein schönes Boss-Knurren ist echt international. Für den Werbeclip für Boss Fighters QR wurden uns Fragen gestellt wie: Welches Schmatzen klingt am tollsten?“
Lukas: „Offenbar hat so ein Boss doch eine Seele. 😉“
Michael, als Spielehändler, wem würdest du Boss Fighters QR besonders empfehlen?
Michael: „Natürlich allen. 😉 Aber um konkreter zu sein, ich würde es Familien empfehlen, die mal ein ganz neues Spielerlebnis auf dem Tisch haben wollen und gleichzeitig auch Kennerinnen und Kennern von Spielen, die eine besondere Herausforderung suchen.“
Vielen Dank für das Gespräch!
*Das Interview wurde teilweise bereits im Pegasus Spiele Magazin Ringbote (Ausgabe 3/2024) veröffentlicht. Die dort erschienenen Teile des Interviews wurden von Ringbote Chefredakteur Alexander Kraft redigiert.